Affären an der Sklavenküste
Mittwoch, 21. Juli
Wenig Schlaf, zeitiger Aufbruch. Aber bereits am Ausgang der kleinen Grenzstadt wartet die nächste Polizeikontrolle. Sie kostet uns einen Aufenthalt von weit über einer Stunde. Die Tageshitze setzt bereits ein. Dann der Frühstückstee und die schon beschriebene Szene im Rose du sable
Auf der weiteren Strecke legt Stéphane ein beängstigendes Tempo vor, was angesichts der zahlreichen Ziegen- und Rinderherden, die die Straßen überqueren, nicht sehr klug ist. In Parakou hält er im Hotel Routine, das von einer Französin geleitet und von überwiegend französischem Publikum besucht wird. Stéphane bittet mich zu bleiben, aber mich zieht es weiter.
In Parakou ist auch der Anfang einer Bahnlinie, die bis zur Küste führt und nachdem Stéphane mich zum Bahnhof gebracht hat, ist noch ein bisschen Zeit bis zur Abfahrt. Ich sehe mir ein wenig das Treiben rund um den Bahnsteig an, sehe, wie Frauen Fleischteile für den Transport vorbereiten, indem sie es in Körben schichtweise mit Eis versetzen. Die schweren Korbbündel tragen sie (wie anders als) auf dem Kopf in den Güterwagen. Nicht nur Frauen, auch kleine Mädchen und kleine Jungs tragen zum Teil unglaubliche Lasten: Überall entlang der Landstraße sind sie mit unterwegs mit Holz und allerlei Geräten. Aber sie tragen auch Zerbrechliches auf dem Kopf, Pyramiden von Eiern beispielsweise.
Der Bahnsteig füllt sich allmählich mit Fahrgästen und mit ihnen postieren sich auch die fliegenden Händler mit kleinen Ständen. Ein Junge fragt mich in Abständen nach meinem Wohlbefinden, ob ich meine Fahrkarte bereits gelöst, mein Gepäck schon zusammen hätte. Als der Zug dann bereitgestellt wird, überbieten er und ein weiterer Junge sich dann mir behilflich zu sein. Übereifrig halten sie mir Plätze in einem ohnehin nur schwach besetzten Zugabteil frei. Dafür wollen sie – natürlich – ein cadeau und kriegen’s auch.
Der Zug fährt dann ausgesprochen langsam, hält an jeder Station zwischen zwanzig Minuten und einer Stunde. Einmal kaufe ich von einer Händlerin eine Hand voll Guaven. Ich habe den Betrag nicht passend, man kann nicht wechseln. Kein Problem, mein Sitznachbar begleicht ihn freundlicherweise.
Es ist viel Platz auf den Sitzen, da die meisten Fahrgäste es sich lieber auf dem Boden bequem machen, überwiegend Frauen. So kann ich mich auf dem harten Lederpolster ausstrecken. In der vergangenen Nacht hatten wir auf Autositzen geschlafen, nun versuche ich im Zugabteil mein Glück.
… Morgens um sechs komme ich in Bahico an, es ist noch stockfinster. Ein paar Leute suchen wie ich den Taxistand, und wir finden einen Wagen, dem man, je länger man ihn betrachtet, desto weniger zutraut, dass er sich auch nur einen einzigen Meter weit von der Stelle bewegen könnte. Er ist lediglich noch ein Gerippe, von vier Türen fehlen drei, aber – er fährt. So gelange ich in das nicht weit entfernte Abomey und dort zum Hotel La campement, wo freilich alles noch schläft.
Erst nach ungefähr einer Stunde öffnet der Chef des Ganzen, ein rhythmisch wippender dicker (und offenbar frisch verliebter) Mann, die Pforten. Ich erhalte ein Zimmer mit zwei Betten, oder besser, muss ein Doppelzimmer nehmen, um ein eigenes zu haben – das Unglück des Einzelreisenden in Gegenden, in denen Einzelzimmer so gut wie ungebräuchlich sind. Aber Dusche, Waschbecken und Toilette sind mit dabei, das ist auch nicht schlecht.
Der Schlaf will sich wegen überlauter Soulmusik kaum einstellen und ich beschließe in die Stadt zu schlendern, insbesondere um mir das Museum anzuschauen.
Es zeigt die Geschichte der Königreiche Abomeys, zeigt Fetische, Kleidungsstücke und den bekannten aus menschlichen Schädeln gebauten Thron. Ich hatte etwas mehr "Pracht" erwartet, wo ich hätte mehr Vorkenntnisse mitbringen sollen.
In Abomey ist heute Wochenmarkt. Es ist das übliche und trotzdem jedes Mal aufs Neue bemerkenswerte, geradezu unglaublich bunte Durcheinander, beschirmt von Stroh- oder Wellblechdächern. Es macht mir Spaß die tausend Kleinigkeiten zu betrachten, die hierzulande zum Leben wichtig sind und die man nicht einzeln aufzählen kann.
Am Abend gehe ich ein zweites Mal in die Stadt hinunter (vorbei an einem Krankenhaus, aus dem schwach der Geruch verbrannter Leichen strömt) und hoffe dort ein paar Festivitäten zum Ausklang des Ramadan zu erleben. Ein Mopedfahrer hält freundlicherweise an und fährt mich die gut zwei Kilometer zum Marktplatz. Aber er ist der Einzige, von dem ich an diesem Tag noch etwas zu berichten habe. Abomey hat kaum noch muslimische Einwohner, die Christen – zwei Kirchen entdecke ich in der Stadt – sind wohl eindeutig in der Mehrzahl, zudem blüht in Benin der Wudu-Kult. Mit meinem Mopedfahrer, der fast in Verzückung gerät, wenn er beschreibt, wie sehr er die Europäer liebt, trinke ich noch ein Bier, und dann bleibt nur noch der Rückweg zum Hotel.
… Noch ehe ich am Morgen zum gare routière gelange, treffe ich auf zwei Deutsche, die an einem kleinen Straßenstand sitzen und Tee schlürfen. Wir kommen rasch ins Gespräch und wenig später habe ich einen komfortablen Lift nach Cotonou in einem geräumigen, nicht mehr ganz taufrischen Mercedes.
Zunächst gehen wir noch einmal in Franks und Michas Hotel, das meinem gleich gegenüber liegt (und schlechter ist und doppelt so teuer). Wir rauchen erst mal einen Joint, ehrlich gesagt, nicht so mein Ding, aber – sagen sie – auch nicht ihres. Warum also überhaupt? Weil er, wie die beiden mir versichern, ein Präventionsmittel ist gegen den hier verbreiteten Grünen Star. Von nun ab kreist stündlich ein Joint, auch ein Schlückchen Whiskey zwischendurch schadet nicht.
F & M wollen ihr Auto in Cotonou verscheuern, haben aber überhaupt keine Eile. Sie fahren nicht schneller als im Stadtverkehr üblich über die Landstraße, stoppen ab und an, um Früchte zu kaufen, Ananas und Bananen, die uns dann aber nicht so recht schmecken.
Überall im Auto liegen Bücher von Martin Walser herum. Wie er kommen die beiden vom Bodensee und erzählen mir, dass Walser für sie so eine Art Heimatschriftsteller sei.
Am Nachmittag sind wir dann in Cotonou und fragen uns durch zum Hotel Babou. Weil nur noch so eines frei ist, nehmen wir zu dritt ein Zweibettzimmer "mit Dusche", ein ziemliches Loch, aber man gewöhnt sich mit der Zeit an so was.
Wir sind vor allem auf eines nun scharf: Nach Wüste und Steppe und langen Fahrten wollen wir endlich das Meer sehen, in diesem Fall die so genannte Sklavenküste, die sich an die Gold- und die Elfenbeinküste anschließt. Und was wir dann sehen, haut uns in diesem Moment fast um: Palmen, Sand und eine rauschende Brandung. Bemalte Einbäume liegen am Strand, Krabben huschen überall herum. Gleich wird die Dunkelheit einsetzen und wir fahren ins Hotel zurück. Morgen werden wir den Tag hier am Strand verbringen.
Wir müssen, ehe wir uns schlafen legen, noch auslosen, wer von uns Dreien im Zweibettzimmer die Nacht auf dem Boden verbringen darf – Micha darf.
… Den morgendlichen Tee bzw. Kaffee trinken wir bei einer Straßenhändlerin, die uns sogar Stühle bereitstellt. F & M behaupten, es mit Vorliebe mit afrikanischen Mädchen zu treiben (von ihnen haben sie ihr ganzes Französisch gelernt) und weil unsere kleine Wirtin recht hübsch ist, fragen sie mal unverbindlich bei ihr an. Kriegen aber einen Korb. Anschließend fahren wir zum Strand.
Es sind kaum Leute da. Wir laufen noch ein kleines Stück die Brandung entlang, dann überlassen wir uns der strahlenden Sonne und den schaumgekrönten Wellen. Die Brandung ist allerdings so stark, dass ans Schwimmen nicht zu denken ist. Aber es bereitet uns ein nimmermüdes Vergnügen ein ums andere Mal von den Wellen, in die man hineinläuft, zurück an den Strand gespült zu werden. Meinen Sonnenbrand bemerke ich viel zu spät. Er lodert erst am Abend so richtig auf und beschert mir eine unangenehme Nacht.
Als uns der Hunger packt, sammeln wir Holz, um ein Feuer zu machen. F & M haben Koch- und Essgeschirr im Wagen und Gemüse haben wir auf dem Markt eingekauft. Wir entdecken sogar ein verlassenes Häuschen ohne Dach, wo wir windgeschützt kochen können. Nun dauert es zwar entsetzlich lange, bis alles gar ist, schmeckt aber umso besser. Geschirr spülen wir in den auslaufenden Wellen und wandern dann zu einem in der Nähe gestrandeten Schiff, einem verrosteten Kahn, von dem man lange schon alles Brauchbare abgeschraubt und entfernt hat. F & M sind ein wenig mutiger als ich und klettern auf einer (freilich kriminellen) Strickleiter an Deck.
Als wir gegen Abend in die Stadt zurückkehren, werden wir Zeuge eines Streites. Ein dicklicher, kahlköpfiger Europäer will mit einer recht attraktiven und deutlich jüngeren Einheimischen seinen Wagen besteigen, wird aber von einem aufgebrachten Mann daran gehindert. Es kommt zu einer kleinen Menschenansammlung, die rasch in zwei Parteien gespalten ist. Die eine ist dafür, das ungleiche Paar in Ruhe zu lassen, die andere, die sich offenkundig dagegen empört, dass eine afrikanische Frau sich (wie so oft) an einen Weißen verkauft, will eben dies verhindern. Schließlich lässt man die beiden dann losfahren, aber es werden noch ein paar Fäuste hintergeschüttelt.
Unser Hotelzimmer liegt über einem dieser billigen Restaurants und hat ein Zimmer zum Hof, in dessen einer Ecke der Hühnerstall ist. Am Morgen steht Frank am Fenster, halb erschrocken, halb fasziniert und berichtet, während ich noch im Bett liege (und nun auch liegen bleibe), wie ein Mann in den Stall geht und einem Huhn nach dem andren den Kopf umdreht, wie die kopflosen Hühner noch weiter herumflattern und alle endlich dahingemetzelt sind. Zum Abendessen werden sie uns nun serviert. Sie sind erstaunlich zäh – ihre kleine Rache. Zwei Mädchen, die zu uns herüberlächeln, sind F & M kurzzeitig eine Überlegung wert. Vielleicht könnte man die mal fragen, ob… Aber die Sache verläuft im Sand.
Dann geht auch noch das Zigarettenpapier für den Grünen-Star-Vorbeugungsjoint aus, neues ist nicht aufzutreiben, als Frank an einer der Hoteltüren ein kleines Kästchen mit Zetteln entdeckt. Die könnte man vielleicht ersatzweise nehmen. Also klopft er mal. Wer ist da? fragt eine Stimme und Frank fällt nichts Gescheiteres ein als zu sagen: Ich. Natürlich kennen die beiden sich nicht, aber nach weiteren Wer bist du und Ich bin’s kommen sie irgendwie miteinander ins Gespräch und Frank kriegt seine Blättchen und ich schlafe in dieser Nacht auf dem Boden.
Nächste Seite: Pfeil und Bogen und ein Knüppel aus dem Sack