Weisser Spion im schwarzen Afrika
Freitag, 16. Juli
Andy und ich brechen aus Tahoua auf, um mit einem der Überlandtaxis nach Niamey weiterzufahren. Bis Birni N’Konni gibt es keine Schwierigkeiten, dann beginnt eine Leidensgeschichte. Sie hat die Gestalt eines Busses, der uns weiter in die nigrische Hauptstadt bringen soll. Bus ist die schmeichelhafte Umschreibung für eine überdimensionale, halb verrostete Sardinenbüchse mit einem Motor. In Niger scheint es ein unumstößlicher Grundsatz zu sein, dass ein Verkehrsmittel erst dann losfährt, wenn es bis zum Erbrechen voll mit Leuten ist. Im Fall dieses Busses dauert es stramme sechs Stunden, die wir herumsitzen und warten, das Städtchen selbst hat keine Reize. Noch mehr als in Tahoua ist die Armut der Menschen hier spürbar.
Als wir dann gegen Abend endlich losgefahren sind, halten wir auf den ersten 50 Kilometern aus diesen und jenen Gründen vier- oder fünfmal an. Bis Mitternacht haben wir hundert Kilometer geschafft. Anschließend geht gar nichts mehr, die Lichtanlage ist hin. Wir bleiben einfach, wo wir sind, stehen und warten den nächsten Morgen ab.
Andy trinkt eine Tonicbrühe namens Yuki. Nicht weil er sie mag, sondern weil sie Chinin enthält und ihn, wie er glaubt, zusätzlich vor Malaria schützen kann. Ihm ist irgendwann richtig schlecht von lauter Yuki. Als ich zum Schluss nicht wieder zusammen mit ihm zur nächsten Limonadenbude tappe, sondern nur den Kopf ein wenig aus dem geöffneten Busfenster lehne, spüre ich statt eines (erhofften) Luftzuges einen kühlenden Wassertropfen, der mir vom Gepäckdach auf die Stirn herabtropft. Dann einen zweiten und dritten und so weiter. Es ist eine unverhoffte Erfrischung und ich genieße sie fast wie Ambrosia in der Wüste.
… Frühmorgens werde ich durch die Betriebsamkeit um mich herum wach. Ich fasse an meine Schläfe, die Haare sind völlig verklebt. Es waren keine Wassertropfen, sondern es war der Inhalt eines leck gewordenen Ölkanisters, der auf dem Dach befestigt ist. Auch Hemd und Hose haben sich braun gefärbt.
Bei einem Überholmanöver drängt der Bus zwei Motorradfahrer fast in den Straßengraben ab. Aus einem in diesem Moment zufällig vorbeikommenden Polizeifahrzeug bedeutet man unserem Fahrer ein Stück zurückzusetzen und in eine Art Parkplatz einzubiegen. Dem Fahrer ist jedoch die Sicht versperrt, er fährt blind drauflos und stößt mit dem Heck auf einen parkenden Lastwagen. Ein längerer Aufenthalt scheint wieder bevorzustehen. Aber dann dauert’s doch bloß eine Viertelstunde, ehe es weitergeht.
Nach Niamey sind es zwar bloß noch wenige Kilometer, aber ich bin auf einmal in der ständigen Angst, dass der Bus nach der Seite umkippt. (Eigentlich denke ich dabei vor allem an meinen Rucksack.) Prompt wird die Einfahrt zum gare routière zu einer Zitterpartie, weil die Wege unbefestigt sind, tiefe Löcher haben und der Bus ein ums andere Mal in eine gefährliche Schräglage gerät. Aber dann ist alles gut. 24 Stunden hat uns dieser Bus am Ende beschäftigt.
Niamey ist die Hauptstadt von Niger, hat aber nichts an sich, was man emphatischerweise mit Hauptstadt verbinden könnte. Niamey hat zwar ein paar wenige Hochhäuser und wird von breiten Straßen durchzogen, aber das Leben ist sehr ärmlich. Die Hotelpreise sind allerdings gesalzen.
Zunächst bin ich nur hierher gekommen, weil ich mich nach dem Flugpreis nach Algier erkundigen wollte (für einen möglichen künftigen Rückweg). Aber als wir ankommen, ist es bereits zu spät, außerdem ist Wochenende.
Erneutes Großreinemachen, Körper und Kleidung (der längst unauslöschliche Spuren von Wüste und Busfahrt eingeprägt sind). Dann laufen wir lange Straßen mit niedrigen, flachen Häusern entlang, und ich denke mir, dass es die höchste aller Strafen sein müsste, wenn man in eine der stets vollen Kanalrinnen am Rand der Bürgersteige fallen würde. Ein Zentrum hat diese Stadt nicht, obwohl sie keinem einfachen Schachbrettmuster folgt. Eine der breiten Straßen heißt Avenue du Président Lubke, wohl in Erinnerung an dessen Besuch während seiner Afrika-Reise.
Wir fragen uns mit unserem schlechten Französisch zum Nationalmuseum durch. Es ist dann eine angenehme Überraschung: ein Garten mit Pavillon und Zoogehegen, in denen zum Teil steinalte Geier sitzen (einer hat eine veritable Glatze). Kunsthandwerker sind mit Schmieden, Weben und Lederschneiden beschäftigt. Das Land wird thematisch vorgestellt mit allerhand Geräten, mit Kleidern und Kultgegenständen.
Als ich nach dem Besuch dieses Museums noch ein wenig durch die Straßen schlendere, erlebe ich zum wiederholten Mal die ganze Freundlichkeit des schwarzen Afrika. Dauernd werde ich höflich und lächelnd gegrüßt, egal ob es Männer, Frauen oder Kinder sind. Kinder rufen mir einmal von der anderen Straßenseite etwas zu. Ich wende mich zu ihnen und sehe fünf Knirpse, jeder von ihnen hat eine Schüssel auf dem Kopf so groß wie er selbst. Sie warten kurz auf meine Reaktion und als ich ihnen zulächle, zeigen sie mir ihre makellos weißen Zähne und dieses ihr Lächeln erscheint mir, als hätte jemand das Licht angeknipst. Sie winken mir übermütig zu.
… Ich möchte die Stadt möglichst schnell wieder verlassen, habe aber das Problem über keine CFAs mehr zu verfügen und einen Schwarzen Markt gibt es nicht. Andererseits ist der Kurs, den die Banken geben, unzumutbar. Aber was kann ich anderes machen als ihn zu akzeptieren?
Andy und ich gehen zum Swimming Pool eines Hotels und verbringen dort einen halben Tag. Ich fühle mich matt und müde, und ich merke, wie gut es mir tut hier auszuruhen. Tagebucheintragungen der letzten Tage.
… Der erste Weg führt zur Bank, der zweite mit Andy zusammen auf die Botschaft von Benin, weil irgendwer mir weisgemacht hat, ich bräuchte für das Land ein Visum. Es erweist sich als Fehlinformation. Für Andy, den Österreicher, sieht es allerdings anders aus und deshalb bedeutet es für ihn einen weiteren Tag in Niamey zu verbringen. Wir fahren noch gemeinsam in die Stadt zurück. Vielleicht werden wir uns in einigen Tagen wiederbegegnen, auf jeden Fall möchte er nach Tansania weiterreisen, um dort Julius Nyereres Experiment eines afrikanischen Sozialismus zu studieren (ich wäre ihm gern gefolgt). Nun jedenfalls verabschieden wir uns voneinander und ich werde die erste beste Gelegenheit wahrnehmen Niamey zu verlassen.
Zuvor noch einmal ein Gang zum Flugbüro. Der Flug nach Algier soll 62.000 CFA kosten, das liegt weit über meiner Annahme, auch wenn die hübsche Lady versichert: Very cheap! Dann zurück ins Hotel, um danach mit meinem Gepäck in einem der spottbilligen Taxis zum gare routière zu fahren, als ich von einem Franzosen, Stéphane, angesprochen werde, der im selben Hotel wohnt und mir einen Lift anbietet – nach Benin. Um eins soll es losgehen, bis dahin sind es noch drei Stunden. Und weil einem Weiße auf der Straße nun einmal auffallen, treffe ich nochmals auf Andy, der sich etwas darüber wundert.
So gegen halb eins fahre ich mit Stéphane etwas essen. Mit dabei ist jetzt eine französische Journalistin, die davon spricht zum Nomadenvolk der Foulani fahren zu wollen, um eine Reportage zu schreiben. Anschließend macht Stéphane noch einen Abstecher zu einer Werkstatt, wo er verschiedene Dinge in seinen Wagen packt und danach geht es dann noch ein weiteres Mal zurück zum Hotel, wo wir unsere leeren Wasserkanister auffüllen.
Unterwegs werden wir jedoch von einem Polizisten angehalten. Er setzt sich der Einfachheit halber mit ins Auto und dirigiert uns geradewärts zur Wache. Was ist passiert? Stéphane bzw. sein Freund, so wird behauptet, hätten eine Hotelrechnung nicht bezahlt. Stéphane soll deshalb nun die doppelte Summe berappen. Die Grenzstation in Gaya sei bereits benachrichtigt. Das Ganze ist etwas anrüchig und scheint eine zwischen Hotelier und Polizei abgekartete Sache zu sein. Beide teilen sich dann die Beute und an der Grenze wird noch einmal ein besonderes cadeau fällig.
Was wirklich zu Grunde liegt, kann ich freilich nicht beurteilen, jedenfalls zahlt Stéphane den geforderten Preis, erhält freilich erst nach etlichem Hin und Her eine mit dem Hotelstempel versehene Quittung. Dazu sind wiederum zwei weitere Stationen in der Stadt nötig, so dass es dann gegen halb fünf endlich losgehen könnte. Geht’s aber nicht. Zwar stellt der etwas entnervte Stéphane es mir anheim eine Entscheidung darüber zu treffen, ob wir an diesem Tag noch einmal aufbrechen sollten, aber das überlasse ich selbstverständlich ihm und damit (es wird auch bald dunkel sein), kann ich diesen Tag gewissermaßen abhaken.
Als ich bei Andy anklopfe, ist er ziemlich von den Socken mich immer noch hier zu sehen. Immerhin kann er jetzt außer meiner Gesellschaft auch den Zimmerpreis mit mir teilen. Und – er sieht eine Möglichkeit sich uns am morgigen Tag noch anzuschließen.
Den Abend in einer Bar verbringe ich mit einem Studenten, der mir allerhand erzählt von sich, seinem Dorf, seinem Land. Er sei, sagt er, der Sohn des Dorfvostehers und will mich für Ende August dorthin einladen. Bis dahin werde ich freilich längst wieder zu Hause sein.
… Andy trabt morgens zur Benin-Botschaft. Als er zurückkommt, erzählt er, dass er sein Visum für Nigeria ebenfalls noch heute erhalten würde, allerdings bis halb zwei Uhr warten müsse. Er bittet uns so lange noch um Geduld und wir sehen der nächsten Verzögerung entgegen.
Zwischenzeitlich komme ich mit einem Holländer ins Gespräch, der mit der Welt etwas im Argen zu liegen scheint. Erst hat er sich mit seinem Freund entzweit, der nun ohne ihn mit dem gemeinsamen Landrover weitergefahren ist. Als er daraufhin nach Hause fliegen will, dies aber durch eine Falschinformation verhindert wird, legt er sich mit einem Offiziellen des Flughafens an. So etwas kann in einem afrikanischen Land zu den tollsten Schwierigkeiten führen. Man muss 1) Geduld haben, niemals etwas über den Zaun brechen wollen, 2) was Hindernisse oder Verzögerungen, sprich: Bürokratie, angeht, leidensfähig sein und 3) freundlich bleiben. So machen es die Einheimischen, erst recht sollen die Ausländer es beherzigen. Da dieser Holländer, wie er selbst zugibt, "sich vergessen" hatte, bekam er postwendend die Ankündigung, dass in der nächsten Maschine kein Platz für ihn sei. (Grotesk ist es freilich, als man sich in seinem Hotel weigert ihm eine von ihm in der Eisbox deponierte Flasche Bier zurückzugeben. Er droht "etwas für 100 Mark" kaputt zu machen, das sei in Holland so üblich – überlegt es sich aber doch.)
Als Stéphane, der einen Freund aufsuchen wollte, um halb zwei noch nicht zurückgekehrt ist, zieht Andy, in Erwägung die Botschaft könne später eventuell geschlossen sein, eilends dorthin los. Zusammen mit Stéphane (nachdem wir uns von Sabrina, der Journalistin, verabschiedet haben) hole ich Andy vor dem Botschaftsgebäude ab. Aber der verkündet uns resigniert, dass er sein nigerianisches Visum nun erst am nächsten Tag erhalten würde. So viel zu Andy. Stéphane und ich starten nun (mit gut einem Tag Verspätung) endlich los. Also auf nach Benin.
Obwohl mein Französisch ebenso schlecht ist wie Stéphanes Englisch, gelingt uns dennoch eine irgendwie passable Verständigung.
Die Vegetation auf dem Weg hin zur Grenze wird immer üppiger, die Subtropen beginnen. Eine Affenherde, die uns irgendwo über den Weg läuft, ist ein lebendiges Indiz. Ansonsten ist Westafrika nicht die Region der großen Tierherden, die allenfalls in der Trockenzeit einmal hierher ausweichen.
Häufig werden wir von Polizeistreifen angehalten, meist artet die Sache in einen freundlichen Plausch aus. Einmal werden wir gebeten eine Frau mit bis zur Grenze zu nehmen. Sie hat eine uns unbekannte Frucht, die einer Kokosnuss ähnelt, aber einen im Vergleich riesigen Kern hat. D. h. zwischen Kern und der harten äußeren Schale ist nur ganz wenig (und auch wenig aromatisches) Fruchtfleisch.
Wie viele andere hat auch Stéphane seinen alten Peugeot durch die Sahara kutschiert, um ihn an der Küste (vorwiegend in Nigeria) mit Gewinn wieder zu verkaufen. Das Geschäft läuft gut, solange die Küstenstrecke durch die Westsahara wegen des dort schwelenden Bürgerkriegs gesperrt ist; der Schiffstransport lohnt sich nur für die Einfuhr von Luxusautos, gestohlenen natürlich inbegriffen.
Stéphane ist nicht zum ersten Mal in der Gegend. Deshalb kennt er auch den Kontrollposten in Malanville, den man erreicht, wenn man Niger in Richtung Benin über eine Brücke über den Fluss Niger – gerade geht die Sonne hinter einem leichten Dunstschleier hellorange unter – verlässt. Die Grenze wird so gegen fünf geschlossen oder jedenfalls dann, wenn die paar Soldaten, die die meiste Zeit auf hölzernen Bettgestellen vor sich hin dösen und Musikkassetten abnudeln, Lust dazu haben.
Es ist schon fast sechs, als wir ankommen, aber Stéphane hat einige cadeaux dabei, und das macht die müden Grenzwächter schnell munter: Kassetten mit ihren Lieblingssängern Julio Iglésias und Bob Marley. Diese etwas schräge Mixtur aus Schnulze und Reggae öffnet uns dann zuverlässig die Zollschranke nach Benin.
Seit Anfang der siebziger Jahre hat das Land eine revolutionäre Regierung, die einen gewissen Anfangselan inzwischen wieder eingebüßt hat und sich nun mit Wortgeklingel über ihre Misswirtschaft hinwegredet. Unter anderem indem sie die Angst vor Spionen schürt und Ausländer dabei unter Generalverdacht stellt. Ich hatte zuvor davon gelesen und frage Stéphane, ob er auf seinen Touren selbst schon etwas mitbekommen habe. Er lacht und sagt, ja, ja, die spielen ein bisschen verrückt, ansonsten werde nur viel Lärm um nichts gemacht.La rose du sable ist ein kleines Restaurant und es wird am kommenden Tag unser erster Halt nach der Grenze sein. Wir haben uns kaum hingesetzt, als wir von jemandem angesprochen werden, der sich nach allem Möglichen erkundigt. Zuerst hört es sich wie das übliche Woher kommt ihr, wohin fahrt ihr? an, aber ziemlich bald rückt er mit der Frage heraus, ob wir auch die Absicht hätten bestimmte Informationen über sein Land zu sammeln.
Ich beruhige ihn, aber der Mann bleibt – wohl von Berufs wegen – misstrauisch. Zwar ist es ganz amüsant, dass ich so rasch eine Probe der hiesigen Agentenhysterie erhalte, andererseits muss man zugeben, dass unser harmlos-verschwitztes Äußeres keine schlechte Tarnung abgeben würde. Die Frage stellt sich allerdings, was Leute wie wir überhaupt ausspionieren könnten.
Wie sonst wo in Westafrika passiert man auf einer Fahrt über Land auch in Benin etliche Kontrollposten der Polizei, und ich bin im Gegensatz zu Stéphane der Meinung, dass er in einem so aufgeheizten Klima seine schmale Minox-Kamera, mit der er zuletzt die zufrieden grinsenden Zöllner fotografiert hat, besser ins Handschuhfach legen sollte. Immerhin ist eine Minox ja so etwas wie ein Klassiker im Arsenal der geheimen Kundschafter. Aber Stéphane scheint das nicht zu kümmern, er legt sie gut sichtbar auf die Ablage vor dem Steuerknüppel. Vielleicht denkt er: Was alle sehen können, fällt nicht weiter auf. Er behält Recht, denn die Kamera wird bei keiner Gelegenheit näher in Augenschein genommen, stattdessen wühlt man gewohnheitsmäßig in der Wäsche herum, findet nichts und lässt uns jedes Mal unbehelligt weiterfahren.
Alain macht schnelle Fotos. Er nimmt seine Kamera nicht selten während der Fahrt in die Hand, hält sie in eine bestimmte Richtung und das Ganze ist dann lediglich eine Angelegenheit von Sekunden. Schlüssige Motive sind es nicht mehr, die er sich aussucht, zumindest keine touristischen. Es ist hier mal ein verwaistes Wachhäuschen, da ein umzäuntes Gebäude, gelegentlich, wenn zufällig welche auftauchen, auch ein Militärfahrzeug.
Ich brauche noch immer ein bisschen Zeit, um zu begreifen, dass die Unkenrufe der Regierung etwas für sich haben und dass ich tatsächlich mit einem ausländischen Spion unterwegs bin!
Aber damit greife ich ein kleines Stück voraus. Zunächst hat man unsere Pässe einbehalten und uns erklärt man dürfe bei Nacht nicht mehr weiterfahren.
Von den kleinen Ständen, die alle nur schwach mit Petroleumlampen beleuchtet werden, nehmen wir einen kleinen Imbiss, ehe dann in der Nacht die Moskitos ihre Bahnen um uns ziehen.
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